Julius Hübner                            1868

1806 – 1882

 

 

Salomon I.

 

Nach David’s Tod bestieg, das reich zu mehren,

Den Thron mit aller Engel Segensgruß

Fürst Salomon, ein Friedensgenius,

Bereit, sein Volk zu leiten und zu lehren.

 

Um Weisheit bat er Gott, und nicht um Ehren,

Um Reichthum nicht und Goldes Ueberfluß,

Und sein Gebet erhört des Herrn Beschluß,

So lang’ er sich von ihm nicht werde kehren.

 

Sein erstes Urtheil giebt den Weisen kund,

Jehova’s Tempel läßt er herrlich bauen,

Und seinen Ruhm verkündet jeder Mund.

 

Sabäa’s Fürstin kommt, sein Antlitz schauen,

Als Weisester gilt er allüberall –

Doch brachten fremde Weiber ihn zu Fall.

 

 

 

Höchstes

Sonettino

 

Der Empfindung Strom den Lauf zu lassen

In der Welt der Klänge und der Töne,

Schön ist’s, doch das allerschönste Schöne

Ist: Musik der Seel’ in Worte fassen!

 

Schön ist’s, Formen Farben anzupassen,

Kraft im Spiel der Muskel und der Sehne,

Mundes Lächeln und des Auges Thräne,

Süße Liebe bilden, bitt’res Hassen!

 

Doch des Dichters Kunst, sie ist die größte,

In dem feinsten Stoff das Höchste lösen,

Dies- und jenseits, hier und dort versöhnen.

 

Wie das Schicksal Lebensräthsel löste.

In dem Streit des Guten mit dem Bösen,

Herzen schmelzen, lächelnd unter Thränen.

 

 

 

Mutterhaus

 

Wie schön bist du im hellen Sonnenschein,

Wenn Frühling mächtig wieder ruft sein „Werde!“

Und Alles grünt und lüht, du alte Erde,

Geliebter Schauplatz uns’rer Kinderei’n.

 

Ganz sind wir dein, mit Leib und Leben dein,

In Freud’ und Leid, in Wonne und Beschwerde;

Du giebst den festen Grund zu Haus und Herde,

Schlingst Rosen noch um unsern Leichenstein.

 

Du schöner Stern, erglänze fort in Frieden,

Dich hält die Hand des Herren so wie mich,

Doch eine Seele hat er mir beschieden.

 

Zur ew’gen Heimath aufwärts schwebe ich,

Und noch im Jenseits, dankbar inniglich,

Denk’ ich an dich, du Mutterhaus hienieden.

 

 

 

Die Brüder

 

Zwei alte Bäume standen dicht zusammen,

So dicht, daß ihre Zweige sich berührt

Und Zwiesprach’ flüsternd manches Jahr geführt,

Wie Brüder, die von einer Wurzel stammen.

 

Da, einer Donnerwolke blitzend Flammen

Und Treffen hat der Eine einst verspürt,

Das zuckend sich von Haupt zu Füß verliert,

Im Rindenpanzer furchte tiefe Schrammen.

 

Wohl grünt er noch so manchen Frühling wieder,

Doch seit dem Schlag ist er gelähmt, ergreist,

Und modernd schwindet seines Schaftes Kern.

 

Ein Herbststurm wirft den morschen Leichnam nieder

Und einsam steht der Andre, stumm, verwaist –

Bald wird er folgen und, ich denke, gern.

 

 

 

Dante

 

Dein Geist umschwebt mich, hocherhabner Dante,

Der lebend durch der Hölle Gluth geschritten,

Vom Fegefeu’r zu Paradieses Mitten

In kühnem Schwung der Seele Flügel spannte.

 

Den seine eigne Vaterstadt verbannte,

Für deren Macht und Größe er gestritten,

Für deren Ruhm und Ehre er gelitten,

Und die ihn erst nach seinem Tod erkannte.

 

Verbannt auf Erden, hast du dir erworben

Ein Reich des Jenseits, das als Herrn dich ehret

Und wo du ewig lebst und nie gestorben.

 

Auf deinen Thron hast du die Braut erhoben,

Die sel’ge Beatrice, sangverkläret,

Und um ihr Haupt den Sternenkranz gewoben.

 

 

 

Die schöne Sibylle

 

„Unsterblichkeit“ hast du mir prophezeiht,

Du anmuthreiche, reizende Sibylle!

Tönt aus so schönem Mund des Schicksals Wille,

Wer wäre nicht zu glauben gern bereit?

 

Denn wie dein Anblick schon das Herz erfreut

Durch aller Schönheit Reiz in Jugendfülle,

Erweckt uns deines Geistes sinn’ge Stille

den heil’gen Schauer der Unendlichkeit.

 

Im köstlichen Gefäß den Göttertrank,

Des Himmels Kraft in Erdenhuld versenkt,

Nichts Höheres kann auch die Allmacht spenden.

 

Mein Auge weiht entzückt dem Schöpfer Dank,

Doch ihn beneid’ ich, der aus deinen Händen

Der Liebe allerhöchste Gunst empfängt.

 

 

 

Engel

 

Die Kinderseelen, die zum Himmel fliegen,

In voller Unschuld aus den kleinen Herzen,

Sie flattern lieblich unter sel’gen Scherzen,

Wie bunte Falter sich im Aether wiegen.

 

Doch die aus schwergeprüfter Brust entstiegen,

Die Seelen, die nach Lebens Lust und Schmerzen,

Wie Flammen durch den Sturm verlöschter Kerzen,

Im bittern Kampfe erst dem Tod erliegen –

 

Sie schweben auf wie Schaaren Silberschwäne,

Die aus dem Winter in den Frühling ziehen,

Noch perlt im sel’gen Blick verklärt die Thräne.

 

Mit der Zurückgeblieb’nen Leid und Mühen,

Ein heilig Mitleid dämpft ihr eigen Glücke,

Wie Goldgewölk der Sonne Strahlenblicke.

 

 

 

Erdenhaft

 

Ach, wenn der Lenz nicht immer wieder käme

Und Gras und Laub und frische Blumen brächte,

Nicht lichter Tag mehr folgt’ auf dunkle Nächte,

Viel leichter wär’ es, daß man Abschied nähme.

 

Daß sie der Seele Götterschwingen lähme,

Verstrickt uns Lust in Sinnenreizgeflechte,

Der freie Geist vergiebt des Himmels Rechte,

Daß er dem Joch der erde sich bequeme.

 

Der Kerker lacht, von Golde sind die Ketten,

Die Freiheit aber ist und bleibt verloren,

Bis uns der Tod erlöst vom eitlen Sehnen.

 

Der stille Engel kann allein uns retten

Von jener großen Schuld, daß wir geboren,

Der auch ein Mann, darf weinen bitt’re Thränen.

 

 

 

Gretchen

 

Wenn Himmelsschönheit die Begier entzündet,

Die engel und die Teufel sich bekriegen

Und, ach! die Engel Gottes unterliegen,

Weil mit den Teufeln sich das Blut verbündet;

 

Im schwersten Sturm der Steuermann erblindet,

Und wilde Wünsche, heißer Gluth entstiegen,

Das arme Herz belügen und betrügen –

Wo ist der Mensch, der da den Wahrspruch findet?

 

Wo ist der Richter und wo ist der Retter,

wenn sich die Liee selbst verkehrt in Fluch

Und an die Shuld sich die Verzweiflung kettet?

 

O Herzeleid für Menschen und für Götter!

Doch aus den Wolken hallt des Engels Spruch:

„Sie ist gerichtet und sie ist gerettet!“

 

 

 

Zeiten

 

Im raschen Fluge regt die Zeit die Schwingen,

Die Tage kommen, die wir alle hassen,

Da gilt es, ernst und männlich sich zub fassen,

Vergangenheit kann Nichts mehr wiederbringen.

 

Die kräftig braun um meine Schläfe hingen,

Die Locken, bleichen und die Wangen blassen,

Doch hast Du mir noch Kraft im Mark gelassen,

Und Manches noch kann reifem Sinn gelingen.

 

So laß mich denn mit frisch erneutem Triebe

Gelegenheit am kahlen Schopf ergreifen,

Am Schöpfungswerke regen treu die Hände.

 

Den Geist erneut die Arbeit nur und Liebe,

Nichts hilft es träumerisch in’s Leere schweifen,

Dem Tapfern nur reicht seinen Kranz das Ende.

 

 

 

Pilgerlauf

 

Von Thal zu Berg, vom Berg zum Thale nieder,

Durch öde, rauhe Klippen mußt du wallen,

Ob dich des Todes Schrecken überfallen,

Nur muthig vorwärts, wenn auch immer müder.

 

Des Glaubens Kraft stärkt deine matten Glieder,

Und mitten durch des Grabes dunkle Hallen

Laß deine Siegespsalmen laut erschallen,

O Seele, deine Himmelspilgerlieder.

 

Kreuzfahrer sind wir nach dem heil’gen Lande,

Auf uns’rer Brust das heil’ge Bundeszeichen

Macht Leid und Noth uns süß und angenehm.

 

Die Ferne glüht im Abendsonnenbrande,

Und wenn des Erdentages Strahlen bleichen,

Erglänzt in Himmelslicht Jerusalem.

 

 

 

Reminiscere

 

Gedenken sollst du heute, sollst bedenken,

Woher du kommst, o Mensch, wohin du gehest,

Ob du zum Falle neigest oder stehest,

Ob deine Schritte auf-, ob abwärts lenken.

 

In die Vergangenheit sollst du versenken

Den Prüfungsblick, auf daß du deutlich sehest,

was deiner Zukunft Noth, und du erflehest,

was dir die ew’ge Gnade möge schenken.

 

Erinnern sollst du dich im tiefsten Wesen,

erneuern am Vergangenen, Durchlebten,

Vom Diesseits hier zum Jenseits dort erheben;

 

Die Himmelsschrift in gold’nen Sternen lesen,

Und aus den Träumen, die dich hier umwebten.

Die Wahrheit finden und das ew’ge Leben.

 

 

 

Betrachtung

 

Wo winkt das Ziel in nebelgrauer Ferne?

Lenkt meinen Kiel dahin ein günstig Wehen

Und wird mein müder Blick es endlich sehen?

Ich frage nicht, ich folge meinem Sterne.

 

Halt’ aus, mein Herz, bis ich es endlich lerne,

Ein Götterhauch muß uns’re Segel blähen,

Hoch über alles Wissen und Verstehen,

Der Glaube nur erreicht das ewig Ferne.

 

Gewißheit ruht jenseits von Erdentagen

Und ungewiß ist jedes Strebens Loos,

Erkämpfen mußt du dir, was ewig groß.

 

erschleichen läßt sich’s nicht und nicht erzagen;

Ein festes Hoffen nur, ein muthig wagen

Reißt die erfüllung aus der Zukunft Schooß.

 

 

 

Nachtschatten

 

Die alte Schlange führt die Höllenmächte,

Daß sie dem Geist die Schöpferthat verwehre

Und seinen Götterschwung in Kleinmuth kehre,

Wenn Sonne schwand, heimtückisch zum Gefechte.

 

Ihr grimmen Ungeheuer dunkler Nächte,

Der trüben Sorgen wilde Geisterheere,

Drückt wie der Alp das Herz mit Centnerschwere,

Ihr macht mich dennoch nicht zum feigen Knechte.

 

Was ich am Tag mit Fleiß und Müh’ gemacht,

Begrinst ihr Teufelsfratzen in der Nacht,

Daß euer Hohn mein Schaffen mir verwirre.

 

Du ewig Licht! erleuchte meine Seele,

Daß keine Höllenlist mich äff’ und irre,

Dein Geist behüte mich vor wahn und Fehle!

 

 

 

Dürre und Raupenfraß

 

Zu des Parnassos steilen Wolkenhöhen

Kein Sterblicher kann Zugang je erringen,

Trägt nicht der Genius auf Adlerschwingen

Zum Gipfel ihn, wo Götterlüfte wehen.

 

Denn diamant’ne Mauern ringsum stehen,

Von Kraft und Weisheit nimmer zu durchdringen,

Orakelstimmen ernst und warnend klingen,

Kein Sturm erzwingt den Eingang und kein Flehen.

 

Castalia’s Quell fließt durch das Steingehege;

Wenn er versiegt – es tritt zuweilen ein –

Läßt er den Durchgang in der Mauer offen.

 

Dann schleicht Gezücht auf diesem Hinterwege,

Die Bücherwürmer, in den heil’gen Hain,

Der bald vom Lorbeer-Raupenfraß betroffen.